2022: Schöpferwissen

In einem dunklen Raum eine hell beleuchtete lange Tafel, an der ca. 30 Menschen sitzen. DIe Tischfläche ist komplett mit einer langen Stoffbahn bedeckt, auf die in vier Spalten die Inhalte mehrerer YouTuibe-Kanäle mit tausenden Videothumbnails gedruckt sind. Darauf stehen Flaschen und Becher.

Ein deutsches Paar in Thailand verkauft seit Jahren in Workshops und Fernstudien geistige Befreiung aus der falschen Welt. Sie nennen dieses Versprechen “Schöpferwissen”. Ihr Unternehmen mit mehreren hochaktiven YouTube-Kanälen ist Teil eines globalen Netzwerks von ideologischen Geschäften mit der Wahrheit, doch zugleich auch ein einzigartiges Stück Leben zweier Menschen.

Tausende Videobotschaften von Thomas und Julia hat internil über Jahre gesammelt und analysiert. In einem Modell der palmenumstandenen Workshopidylle rekonstruieren vier Performende nun berichtend und dokumentarisches Material nachspielend die Geschichte dieser Menschen, begutachten ihre Psyche, sezieren ihre Mythen. Sie klären auf über Nanobots, wahre Freiheit und das strukturierte Prinzip der Liebe.

Die Erkenntnisse über die Erkenntnisse von SchöpferwissenTV macht die neu gegründete Aufklärungsfirma internil analytica in einem immersiven Setting zugänglich. Dabei werden den zu Beginn nach Zufallsprinzip zweigeteilten Workshopteilnehmenden unterschiedliche Deutungsrahmen auf den Weg gegeben. In Folge nehmen die unterschiedlich gebrieften Zuschauenden gemeinsam rezipierte Spielszenen unterschiedlich wahr.

Zwischen hautnahem Nachempfinden und technokratischer Draufsicht begegnen sich schließlich die gegensätzlichen Publikumsperspektiven im Erkennen ihrer Blicke auf Thomas und Julia, auf die Grenzen des Modells, dessen Teil sie geworden sind, und aufeinander

.

„Während wir Strichmännchen malen, um Thomas‘ bevorzugte Körperhaltung darzustellen, studieren die vier internil-Performer:innen je­de:n Ein­zel­ne:n von uns intensiv. Jede Änderung der Körperhaltung wird sofort registriert. Ein mulmiges Gefühl kommt auf. […] Vielleicht zeigt die Performance auch, dass Menschen gerade da manipulierbar sind, wo sie sich am sichersten wähnen und meinen, die Dinge zu durchschauen.“

taz

Am Ende eines langen Tisches, der von einer Decke mit hunderten YouTube-Video-Thumbnails bedeckt ist, sitzen Marina und Christian nebeneinander. Sie tragen beide schwarze Kopfhörer. Marina breitet ihre Arme nach vorne aus, als wolle sie allen die Innenseiten zeigen. Christian sieht abgekämpft aus und schaut von der Seite auf das Tattoo auf Marinas linkem Oberarm. Im Hintergrund sehen wir auf der Projektionsleinwand Thomas in einem Video die slebe Geste machen wie Marina, neben ihm sitzt Julia in ähnlicher Haltung wie Christian.
Hotti, links auf einem hohen Hocker sitzen, zeigt mit dem linken gestreckten Arm auf eine bunte Netzwerkvisualisierung auf einer Projektionsleinwand im Bildhintergrund. Arne sitzt davor und schaut zu ihm. Links vorne am Bildrand sehen wir Köpfe des Publikums, ihre Gesichter sind nicht identifizierbar.

„Vielleicht braucht es ein Produktionskollektiv wie internil, dessen Arbeiten völlig aus dem sozialen und theatralen Rohstoff des World Wide Web bestehen, um die Bedeutung dieser Worte eines mit Flügeln tätowierten Propheten wirklich zu verstehen. In 3882 Videos war sein Blick nur ein Blick in die Kamera – als der Blick auf das Ich, das er herstellt, sucht, zerstört und überhöht. «Um mich zu sehen, wirklich mich,» sagt der ausgelaugte, kettenrauchende und seine Julia marternde Thomas in seinem letzten Videostatement, «müsstest du schon hier sein, in diesem Raum, sonst siehst du mich nicht.» Und dafür lohnt es sich, in den Berliner Theaterdiscounter zu gehen.“

Norsk Shakespeare Tidsskrift

In einem dunklen Raum eine hell beleuchtete lange Tafel, an der ca. 30 Menschen sitzen. DIe Tischfläche ist komplett mit einer langen Stoffbahn bedeckt, auf die in vier Spalten die Inhalte mehrerer YouTuibe-Kanäle mit tausenden Videothumbnails gedruckt sind. Darauf stehen Flaschen und Becher.

Schöpferwissen

Training für werdende Götter

TD Berlin, Mai 2022 & 2023

Recherche & Performance:
Christopher Hotti Böhm, Marina Dessau, Christian Römer,
Arne Vogelgesang

Licht & Raum:
Kollektiv GUT Holz Strahl

Kostüm:
Mariana Jukica

Produktionsleitung:
ehrliche arbeit

Fotos:
Gianmarco Bresadola

Gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds.