2013: Neue Liebe

Das romantische Internet: Singlebörsen und ihre Dramatisierung des Beziehungsmarktes, Heirats-Scam-Mails und Fake-Profile auf Datingseiten im gebrochenen Denglisch von Übersetzungssoftware, Aufreiß-Ratgeber, Webcamchats, 3D-Freundinnen-Simulatoren und großes Liebeskummer-Pop-Kino auf Youtube… Im Netz, das mehr und mehr Teil unseres Lebens wird, verändert sich auch die Form der Sehnsucht nach Intimität, ihre Sprache und ihre Ökonomie.

Neue Liebe wandte im Internet gesammelte ‚romantische‘ Texte, Bilder, Videos, Musik und Gesten performativ an. Den Materialien war ihr Fokus auf Liebesbeziehungen ebenso gemeinsam wie die Absicht ihrer Autor_innen, qua Werbung etwas (meist sich selbst) zu verkaufen. Ihre Funktionen reichten von der Kontaktaufnahme zum_r potentiellen Partner_in über Selbstpräsentation & Selbstoptimierung, Small-Talk & Paar-Talk bis in die Bereiche, die im romantischen Kennenlernen eigentlich vermieden werden sollen, aber doch seinen Boden bilden: Sexualität, Verzweiflung, Aggression und Unverständlichkeit.

Neue Liebe war für eine zentrale männliche Figur mit multimedialer und weiblicher Begleitung konzipiert. Um der Vielseitigkeit des übergreifenden Mediums ‚Internet‘ zu genügen, verwendeten wir performative Techniken, die wie dieses verschie­dene Medien und Materialien funktional integrierten und im Rahmen einer geführten Meditation auf den kollektiven „inneren Mann“ ordneten. Unser aus dem Internet bezogenes Textmaterial war vielfach durch fremdsprachigen Ursprung und Übersetzungssoftware verfremdet und forderte unterschiedliche Adressierungsformen, deren direkteste ein Live-Coaching des Publikums in Aufreißtechniken war.

Neben Live-Stimme benutzten wir Sprachsynthesizer-Software und Aufzeichnungen, um die Spanne zwischen „natürlicher“ und „künstlicher“ Sprache auszuloten. Ähnliches galt im Zusammenspiel mit dem Medium Video für den Umgang mit realem und virtuellem Körper, mit Selbstbildern, Projektionen und technischen Körperprothesen. Wir bauten auf Charme, Kontraste, Unverständlichkeit und sensorische Überforderung.

So zeichnete Neue Liebe das Bild einer von technischer Vermittlung und Vermittlungstechniken durchdrungenen Welt, in der zwar die Realisierungsmöglichkeiten klassischer Vorstellungen hetero­sexueller Liebe ebenso im Schwinden begriffen sind wie das patriarchale Bild des „Mannes“, der diese Vorstellungen lange regierte, nicht jedoch die Wünsche und Sehnsüchte, die ihr Fundament bildeten.

Neue Liebe

Ein analoger Aufriss digitaler Romantik.

Romantik Ausgabe:
Theaterdiscounter, Berlin,
Dezember 2013.

Voll Frontal Ausgabe:
Sophiensaele, Berlin;
LOFFT, Leipzig;
Festival Unithea, Frankfurt/Oder;
Festival Freifeld, Oldenburg;
Februar – August 2014.

Lovers:
Marina Miller Dessau,
Clementine Pohl,
Arne Vogelgesang,
Christoph Wirth.

Jurypreis beim Festival 100°.

Rezension Neues Deutschland
Bericht Deutschlandradio Kultur

Gefördert von der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen.
Kulturstiftung des Freistaates Sachsen

Fotos:
Nils Bröer.